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Rückwirkende Festsetzung der Vergütungsvereinbarung von Behinderteneinrichtungen durch Schiedsstelle in Grenzen zulässig

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Urteil vom 23. Juli 2014 (Az.: B8 SO 2/13 R) den Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII bei der Festsetzung von Vergütungsvereinbarungen (§ 76 Abs. 2 SGB XII) weit ausgelegt. Nach dieser Entscheidung darf die Schiedsstelle den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Schiedsspruchs auch vor den Zeitpunkt des Antragseingangs bei der Schiedsstelle festsetzen; das Rückwirkungsverbot des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII steht dem nicht entgegen.

Gegenstand des Verfahrens

Die Klägerin betreibt Werkstätten für behinderte Menschen und schloss mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe mit Wirkung zum 1. Januar 2009 eine neue Leistungsvereinbarung (§ 76 Abs. 1 SGB XII). Der Abschluss der Vergütungsvereinbarung scheiterte, weshalb die Schiedsstelle angerufen wurde (Eingang des Antrags der Klägerin am 30. Juli 2009).

Die Schiedsstelle setzte die Vergütungen fest und führte u.a. aus, die Vergütung könne nach Maßgabe des § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB XII nicht vor dem Tag des Antragseingangs bei der Schiedsstelle festgesetzt werden, auch wenn eine frühere Festsetzung sinnvoll sei.
Die Klägerin erhob Klage zum Landessozialgericht (LSG) mit dem Antrag den Schiedsspruch insoweit aufzuheben, als die Vergütung nicht bereits ab dem 1. Februar 2009 festgesetzt worden sei. Das LSG wies die Klage mit Verweis auf das Rückwirkungsverbot nach § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ab.

Entscheidungsinhalt

Auf die Revision der Klägerin wurde der Schiedsspruch insoweit aufgehoben, als ein Inkrafttreten der Vergütungsvereinbarung vor dem Zeitpunkt des Schiedsantrags abgelehnt worden ist.

Nach Auffassung des BSG hat die Schiedsstelle den ihr obliegenden Gestaltungsspielraum verkannt, als sie sich rechtlich daran gehindert sah, den Schiedsspruch vor dem Zeitpunkt des Schiedsantrags in Kraft zu setzen.

Das BSG verweist auf den Sinn und Zweck des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII wonach lediglich verhindert werden solle, dass nachträglich bereits entstandene Kosten abgerechnet werden, also ein Gewinn- oder Verlustausgleich durchgeführt wird. Soweit die Schiedsstelle ihren Schiedsspruch über die Vergütungsvereinbarung zu einem Zeitpunkt nach Abschluss der Leistungsvereinbarung in Kraft setzt, besteht keine Gefahr eines solchen nachträglichen Ausgleichs. Die Auslegung des LSG steht der Vertragsautonomie der Beteiligten und der Gestaltungsfreiheit der Schiedsstelle entgegen.

Das BSG hebt hervor, dass eine Einrichtung nicht gezwungen werden kann, die von ihr zu erwartenden Kosten unterhalb ihrer Gestehungskosten anzubieten und zu erbringen, gerade dies wäre aber der Fall, wenn es der Schiedsstelle versagt wäre, die Vergütungsvereinbarung vor ihrer Anrufung und damit nicht zeitgleich mit der Leistungsvereinbarung in Kraft setzen zu dürfen.

Fazit und Bewertung

Mit dieser bemerkenswerten Entscheidung stellt sich das BSG gegen die herrschende Auffassung in Literatur, der bisherigen Rechtsprechung und der Spruchpraxis der Schiedsstellen selbst.

Die frühere Inkraftsetzung des Schiedsspruchs schützt die Einrichtungsträger davor, ihre Leistungen über Monate hinweg unterhalb ihrer tatsächlichen Gestehungskosten erbringen zu müssen.

Das Gericht stärkt den Gestaltungsspielraum der Schiedsstellen. Dies ist konsequent und wird dem Rechtscharakter dieser Schiedssprüche als vertragsgestaltende Verwaltungsakte gerecht. Wenn Schiedssprüche die fehlende Vereinbarung der Beteiligten ersetzen sollen, dann muss den Schiedsstellen dieselbe Gestaltungsfreiheit zugestanden werden, wie sie den Beteiligten bereits jetzt in Gestalt der Vertragsfreiheit zusteht.

Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechung auf die Spruchpraxis anderer Schiedsstellen z. B. nach § 76 SGB XI (Pflegevergütung) auswirkt, die ebenfalls die fehlenden Vereinbarungen der Beteiligten ersetzen und ihnen daher derselbe Gestaltungsspielraum zugestanden werden muss.