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BSG interpretiert Anforderungen an das Qualitätsgebot gegen den Gesetzeswortlaut

Am 24. April 2018 hatte der Erste Senat des Bundessozialgerichts in mehreren Angelegenheiten über die Frage zu entscheiden, ob die Behandlung mittels Liposuktion (Fettabsaugung) zum Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Interessant waren diese Entscheidungen vor allem angesichts der im Raum stehenden Frage, ob die Änderung des § 137c Abs. 3 SGB V mit Wirkung zum 23.07.2015 etwas an der in der Vergangenheit von den Instanzgerichten immer wieder – aufgrund unklarer Datenlage – abgelehnten Leistungspflicht für die Liposuktion ändern würde.

Der Gesetzgeber hatte § 137c Abs. 3 SGB V mit Wirkung zum 23. Juli 2015 mit dem Ziel eingeführt, die aus seiner Sicht überzogenen Anforderungen des BSG an Behandlungs- und Untersuchungsmethoden zurückzuschrauben, für die noch keine Daten der höchsten Evidenzstufe vorliegen. Solche Methoden sollten nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen stationärer Krankenhausbehandlung solange erbringbar sein, bis der Gemeinsame Bundesausschuss die Methode im Wege einer Richtlinie von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung ausnimmt. Ausreichend sollte es bis zu diesem Zeitpunkt sein, wenn die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative hat.

Zündstoff birgt vor allem die dritte Entscheidung des Tages zum Az. B 1 KR 10/17 R. Das LSG Baden-Württemberg hatte in seiner vorangegangenen Entscheidung vom 1. August 2016, Az. L 5 KR 609/16, festgestellt, dass zwar der neue § 137c Abs. 3 SGB V auf den Fall anzuwenden sei. Die Prüfung des Potentials einer erfolgreichen Behandlungsalternative könne jedoch nur anhand der bisherigen Maßstäbe der §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V (Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot) erfolgen. Im Ergebnis prüfte das LSG auch für die Feststellung des Potentials einer erforderlichen Behandlungsalternative, ob die Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach und damit das Qualitätsgebot gemäß § 2 Abs. 1 SGB V wahrte. Nach Auffassung des LSG setzt auch § 137c Abs. 3 SGB V die Geltung des Qualitätsgebots nicht außer Kraft.

(Im Einzelnen befasste sich das LSG dann auch mit der Datenlage zur Liposuktion und stellte fest, dass keine eindeutigen Studienergebnisse aus randomisierten-kontrollierten Studien vorlagen. In Veröffentlichungen niedrigerer Evidenzstufe wie Registerbeobachtungen oder kleineren Fallserien seien die Ergebnisse zudem nicht eindeutig, so dass das LSG davon ausging, dass die Liposuktion noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion war.)

Das BSG bestätigte die Entscheidung des LSG. Interessant ist vor allem die bereits im Terminbericht Nr. 15/18 hierfür gegebene Begründung: Nach Auffassung des BSG senkt „auch die Norm des § 137c Abs. 3 SGB V nicht die Qualitätsanforderungen für den Anspruch auf stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative." Zweck des Qualitätsgebots sei der Patientenschutz und der effektive Einsatz der Mittel der Beitragszahler. Bei der Erbringung nicht ausreichend erprobter Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen werde gegen diesen Zweck verstoßen.

Es folgt dann im Terminbericht die Behauptung des BSG, dass das SGB V nicht zwischen der Behandlung von Versicherten mit Methoden unterscheidet, die dem Qualitätsgebot genügen oder nur das Potential einer Behandlungsalternative haben. Das Qualitätsgebot gelte einheitlich für alle Leistungen nach dem SGB V. Angesichts „dieser klaren Gesetzeslage" sehe das BSG sich „an einer Rechtsfortbildung contra legem gehindert." Offenbar meint das BSG, dass ihm für ein anderes Ergebnis aufgrund des Gesetzeswortlauts die Hände gebunden seien. Angesichts der gegen Richter des Ersten Senats des BSG gestellten Strafanzeigen wegen Rechtsbeugung und der in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der Literatur lauter werdenden Vorwürfe, z. B. mit der Rechtsprechung zur sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung genau eine solche Rechtsfortbildung contra legem vorgenommen zu haben, mutet diese Begründung des BSG durchaus provokant an.

Noch weniger überzeugt der Hinweis, dass zwar die Gesetzesmaterialien zu einem abweichenden Ergebnis führen – das BSG ist sich also sehr wohl im Klaren darüber, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 137c Abs. 3 SGB V etwas ganz anderes bezwecken wollte –, dem Gesetzeswortlaut, dem Regelungssystem und dem Regelungsziel aber der Vorrang gebührt. Erstaunlich ist diese Begründung, weil doch gerade der geänderte Gesetzeswortlaut (in § 137c Abs. 3 SGB V), das Regelungssystem (der Vorrang der spezielleren Norm des § 137c Abs. 3 SGB V vor der allgemeineren Norm des § 2 Abs. 1 SGB V) und das Regelungsziel (der in den Gesetzesmaterialien klar erkennbare anderslautende Wille des Gesetzgebers) nicht dazu taugen, das vom BSG gefundene Ergebnis zu begründen.

Wieder einmal entsteht der Eindruck, als setze das BSG sich ganz bewusst über den entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers hinweg. Dieser hatte in den Gesetzesmaterialien eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass § 137c Abs. 3 SGB V eingeführt wurde, um klarzustellen, dass es sich bei der Vorschrift um eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt handelt und dass im Bereich stationärer Krankenhausbehandlung bis zu einer negativen Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange erbracht werden können, wie sie zumindest das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Der Gesetzgeber wollte damit ausdrücklich der anderslautenden Rechtsprechung des BSG entgegentreten. Das BSG meint hierzu nun offenbar, dass der Gesetzgeber wohl nicht genau genug gearbeitet hat und es versäumte, seinen Regelungswillen gesetzestechnisch eindeutig umzusetzen.