Mit Urteil vom 17.04.2013 (Az.: 2 Sa 179/12) hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die außerordentliche fristlose Kündigung eines Chefarztes wegen unzulässiger Abrechnung gegenüber Privatpatienten für wirksam erklärt. Das Urteil ist nun rechtskräftig.
Sachverhalt (vereinfacht)
Das Krankenhaus räumte seinem angestellten Chefarzt das Liquidationsrecht für ambulante und stationäre ärztliche Leistungen ein. Der Chefarzt rechnete mindestens sieben Herzschrittmacherimplantationen als Wahlleistungen ab, obwohl der Oberarzt diese durchführte und keine unvorhergesehene Verhinderung vorlag. Der Chefarzt klärte seine Patienten nicht über den Grund der Verhinderung auf, nämlich dass nur der Oberarzt (und nicht er selbst) die Herzschrittmacherimplantationen durchführen kann. Ebenso fehlte jeweils eine gesonderte schriftliche Vertretervereinbarung.
In mindestens 16 weiteren Fällen rechnete der Chefarzt gegenüber seinen Privatpatienten Leistungen ab, die er nicht selbst erbracht hatte (überwiegend EKGs).
Entscheidung des LAG Niedersachsen
Das LAG Niedersachsen erklärte die außerordentliche fristlose Kündigung für wirksam.
Das Gericht führte aus, dass eine bewusste Falschabrechnung wahlärztlicher Leistungen durch einen liquidationsberechtigten Chefarzt einen schweren Verstoß gegen dessen vertragliche Rücksichtnahmepflichten darstellt.
Dass der Chefarzt sieben Herzschrittmacherimplantationen als Wahlleistungen gegenüber den Patienten abgerechnet habe, obgleich die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 GOÄ (persönliche Leistungspflicht des Wahlarztes) nicht vorlagen, stelle einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Der Chefarzt habe gegenüber den Patienten/Krankenkassen über das Vorliegen der den geltend gemachten Zahlungsanspruch begründenden Tatsachen getäuscht (Abrechnungsbetrug).
Auch die weiteren festgestellten unzulässigen Abrechnungen gegenüber Privatpatienten stellen einen Kündigungsgrund dar. Bei insgesamt 16 Patienten seien Leistungen abgerechnet worden, die der Chefarzt nicht persönlich erbracht habe, obwohl er bei der Vornahme der Leistungen im Hause anwesend gewesen sei oder jedenfalls kein unvorhersehbarer Vertretungsfall vorgelegen habe.
Das LAG Niedersachsen betonte, dass der Chefarzt alles zu unterlassen habe, was das Ansehen und den Ruf des Krankenhauses schädigen kann. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und seiner herausgehobenen Position als Chefarzt müsse dieser in besonderem Maße um eine korrekte Liquidation bemüht sein.
Nach Ansicht des LAG Niedersachsen bedurfte es wegen der Schwere der Vertragsverletzungen keiner vorherigen Abmahnung. Dem Chefarzt hätten die Voraussetzungen des § 4 GOA als langjährig praktizierendem Arzt bekannt sein müssen. Erschwerend komme hinzu, dass das Krankenhaus im Jahr 2010 mehrfach die liquidationsberechtigten Ärzte auf die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung hingewiesen habe.
Fazit
Die Entscheidung ist für die Praxis von hoher Bedeutung. Das LAG Niedersachsen stellt eindeutig fest, dass ein Krankenhausträger es nicht hinzunehmen braucht, wenn seine Chefärzte bewusst unrichtig abrechnen. Es spielt keine Rolle, dass das Krankenhaus durch eine solche Tat nicht unmittelbar geschädigt wird.
Der abrechnende Arzt ist für die ordnungsgemäße Abrechnung verantwortlich. Sind die Abrechnungen unzulässig, so muss der privatliquidationsberechtigte Arzt mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen.
Empfehlung
Bei Wahlleistungsvereinbarungen hat der Wahlarzt die ärztlichen Leistungen grundsätzlich (höchst-)persönlich zu erbringen.
Bei (a) einfachen Tätigkeiten (z.B. Verbandswechsel) darf er sich jedoch Hilfspersonals bedienen.
Bei wesentlichen Leistungen, die der Wahlleistungsvereinbarung immanent sind (z.B. Diagnose, Operation) darf der Wahlarzt sich nur (b) bei unvorhergesehener Verhinderung von seinem vorher namentlich benannten ständigen Vertreter vertreten lassen.
Für (c) vorhersehbare Verhinderungen (z.B. Urlaub, Kongressteilnahme oder anderweitige Verpflichtungen im Krankenhaus) reicht die namentliche Nennung des ständigen Vertreters in der Wahlarztvereinbarung nicht aus. Hier bedarf es zwingend einer gesonderten Aufklärung des Patienten über den Grund der Verhinderung und über mögliche Alternativen (z.B. auch Verschieben der Behandlung). Darüber hinaus bedarf es einer gesonderten schriftlichen Vertretungsvereinbarung. Die ursprünglich unterzeichnete Wahlleistungsvereinbarung reicht nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 20.12.2007, Az. III ZR 144/07) ausdrücklich nicht aus.
Eine Verletzung dieser Pflichten kann nun mit dem LAG Niedersachen zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Dabei war insbesondere ausschlaggebend, dass das Krankenhaus die liquidationsberechtigten Ärzte mehrfach auf die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung hingewiesen und zur Einhaltung der Pflichten angewiesen hat. Die Belehrung der liquidationsberechtigten Ärzte ist nicht nur kündigungsrechtlich, sondern auch aus haftungsrechtlichen Gründen und Compliance-Gesichtspunkten von Bedeutung.
Deshalb ist es empfehlenswert, sämtliche liquidationsberechtigten Ärzte regelmäßig auf die persönliche Leistungspflicht nach § 4 Abs. 2 GOÄ hinzuweisen und zur Einhaltung der hieraus folgenden Pflichten anzuweisen. Zur Dokumentation sollte das Krankenhaus sich den Empfang der Belehrung/Anweisung schriftlich bestätigen lassen.